„Jeder Tag, an dem man nicht einmal herzhaft gelacht hat, ist ein verlorener Tag". Diesen Ausspruch des bekannten Tänzers Jürgen Feindt könnte man als Motto der ersten Prunksitzung der Fasnachtskampagne 1973/74 der Karnevalsgesellschaft Rot-Weiß Rülzheim (KGR) bezeichnen. Die Stimmung in der bis auf den letzten Platz gefüllten und bunt geschmückten Rülzheimer Turnhalle wurde durch ein wiederum erstklassiges, fünfstündiges Narrenprogramm angeheizt.
Vergessen war aller Ärger über lange Wartezeiten beim Kartenvorverkauf, die Narren waren in bester Fasnachtslaune. „Den Frohsinn hat man nicht erst heut' erdacht, vor 1200 Jahren wurde schon gelacht", diese Aufschrift des diesjährigen Hausordens der KGR, die bereits seit 1956 Prunksitzungen durchführt, war bezeichnend für den ganzen Abend. Ein kleiner Wermutstropfen fiel allerdings in die Stimmung des einzelnen Besuchers, der sich an diesem Abend entweder mit einer ganzen Flasche Wein oder einem Säftchen vergnügen mußte, weil der Wirtschaftsbetrieb keinen offenen Wein verkaufte. Das Getränkeangebot muß in dieser Richtung unbedingt erweitert werden.
Nach dem Einzug des Elferrates in seinen neuen Uniformen und des Prinzenpaares, Liane I. und Wolfgang I., das im Jubiläumsjahr in historischen Landsknechtkostümen auftritt, konnte der KGR-Vorsitzende Büchle, der bereits seit neun Jahren die KGR führt, sehr viele Ehrengäste begrüßen, unter ihnen den Landtagsabgeordneten Heid und Verbandsbürgermeister Braun. Als weiterer Ehrengast war Erwin Hausfelder, Ehrensenator der Karnevalgesellschaft Hamonie Toronto/ Kanada, anwesend.
Büchle ernannte Hans Kaufmann, der seit 18 Jahren aktiv in der Rülzheimer Fasnacht tätig ist, zum Ehrensenator der KGR und überreichte ihm eine Ehrenurkunde und eine handgeschnitzte Holzplastik. Götz König, der in dieser Kampagne zum elften Mal in der Bütt steht, wurde ebenfalls mit einer Holzplastik ausgezeichnet und eröffnete den Reigen der Narretei. Er erschien als Bajazz, diesmal ohne Laterne, da er nicht in die große Politik leuchtete, sondern die Rülzheimer Narren, besonders den Elferrat, mit viel Witz durch den berühmten Kakao zog.Oskar Büchle bezeichnete er als nie so wertvoll wie heute. Auch der Badespaß musste herhalten: „Rülzheim geht schwimmen, aber baden geht es nicht."
Im Anschluß daran tanzte die kleine Garde der KGR einen Gardetanz, der auch in diesem Jahr wieder von der Familie Büttweiler, Germersheim, einstudiert wurde. Ilona Büchle, Tochter des KGR-Vorsitzenden und ehemalige „kläne Krott", trat als Zukunftsfrau auf und verglich in ihrer geschliffenen Büttenrede die alte Generation mit der jungen. Auch vor Problemen, die dabei auftreten, machte sie nicht halt.
Eduard Herrmann, ein Mitglied des Elferrates, stellte sich als letzten Sproß des Rittergeschlechtes vor und gab als Burgfräulein einen Einblick in das oft anstrengende Ritterleben. Nach Schunkelliedern, die die Stimmung fast auf den Höhepunkt trieben, stellte sich Wolfgang Keiber, der erst seit zwei Jahren in der Narrenbütt steht, als Festorganisator vor. Er gab in seiner Büttenrede einen Einblick in die mühevolle Arbeit einer Festorganisation und betrachtete auf humorvolle Weise den Ablauf einer Jubiläumsfeier. Seine Schlußfolgerung war: „Alle sind heut* voll gewest, Mensch war das ein schönes Fest."
Ihm schloß sich ein Gardetanz nach der Melodie „Petersburger Schlittenfahrt", getanzt von der großen Garde der KGR an, der sich wiederum durch die hervorragende Choreographie des Ehepaares Buttweiler auszeichnete. Diesen Tanz sollte eigentlich der Elferrat aufführen, doch schon während der Proben hatte die Kondition der Herren gestreikt.
Den absoluten Höhepunkt dieser Prunksitzung bildete die Gesangsgruppe der KGR. Sie nahm eine Rückblende auf längst vergangene Zeiten vor und warf Streiflichter auf die Ereig¬nisse der vergangenen 1200 Jahre der Gemeinde. Die Texte von Hans Kaufmann wurden mit bekannten Melodien, ausgewählt von Erwin Hartenstein, hervorragend interpretiert. Besonderen Beifall erhielt ein „Zigeunerpaar", das auf die Probleme der ehemals in Rülzheim wohnenden Zigeuner einging: „Es schämte sich ihrer manch einer, aber Rülzheimer waren sie doch!" Diese Gesangsgruppe, die sich nur noch einen klingenden Namen, zum Beispiel „Die Klingbach Nachtigallen", zulegen müßte, könnte mit ihrem Vortrag manch bekannter Fasnachtsgesangsgruppe den Rang ablaufen.
Nach der Pause erfreute noch einmal das Ballett der KGR mit einem modernen Tanz die Rülzheimer Narren. Petra Büchle schilderte als Minimädel die Vorzüge, Nachteile und Erlebnisse dieser Moderichtung und auch die Bedrängnisse, in die ein Minimädchen kommen kann. Die Ölkrise hatte sich Karlheinz Pfeifer als Ölscheich Ben Karl zum Thema genommen. Er gab den Narren zu verstehen, daß auch die Ölscheichs in dieser Krise ihre Probleme haben und kam zu dem Schluß, daß es nach wie vor genug Öl gäbe.
Als neuen Berufszweig stellte Marcel Schuschu den Staatsverwaltungsflaggenhisser vor. Mit seiner geschliffenen Büttenrede nahm er die große Politik aufs Korn und machte sich über so manches unnötige Flaggenzeremoniell lustig. Marlies Büchle vervollständigte das närrische Engagement der Familie Büchle und trat als Wohlstandsfrau in die Narrenbütt. Sie beleuchtete in ihrer Büttenrede die Auswirkungen und Auswüchse unserer Wohlstandsgesellschaft.
Den Hausorden der KGR, der auch in diesem Jahr wieder vom Vorsitzen¬en der KG Rot-Weiß Speyer, Hans Gruber, entworfen wurde, überreichte Marlies Büchle traditionsgemäß an einen prominenten Gast der Prunksitzung, diesmal an den Landtagsabgeordneten Walter Heid, der in seinen Dankesworten den Rülzheimer Narren für die kommende Kampagne eine größere Halle versprach.
In seinem zweiten Auftritt stellte sich Götz König wie immer als Pälzer Krischer vor. Er hatte sich in diesem Jahr besonders die Bundesregierung als Ziel seiner Büttenrede genommen und kam dann, ebenso traditionsgemäß, 'auf seine „häuslischen Probleme" zu sprechen, die er, wie immer, mit Witz und Humor vortrug.
Den Abschluß dieser großartigen Prunksitzung bildeten die beiden Originale Schakob und Hanjersch, dargestellt von den beiden ehemaligen Rülzheimer Kaplänen Gregor Reißinger und Manfred Rheude. Sie widmeten sich in ihrer Büttenrede der Ortspolitik schilderten, was im letzten Jahr in Rülzheim geschehen war. Sie kamen zu der Schlußfolgerung: „Die Rülzheimer machen lange nichts, aber wenn sie was machen, dann machen sie es richtig." Als Anerkennung für ihren Vortrag überreichte ihnen Verbandsbürgermeister Braun den Rülzheimer Heimatkalender.
Die Prunksitzung, die traditionsgemäß mit dem Narhalle-Marsch begonnen hatte, endete, ebenso traditionsgemäß, mit dem nochmaligen Auftritt aller Beteiligten und „So ein Tag, so wunderschön wie heute", gespielt von den „Roten Husaren", dem Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr Rülzheim unter der Leitung von Norbert Leingang.